Zug aufs Abstellgleis; seine Unruh tickte nicht mehr richtig. Zu viel Nikotin, Alkohol, hektische Zerstreuung: die Leichtigkeit des Anfangs, die unverschämte Unschuld der Jugend waren wie weggeblasen. Von Überdruss und Selbstzweifeln blockiert, zog sich Kopetzky in seine Heimatstadt Pfaffenhofen zurück, um im Eigenheim mit Frau und Kind, an den Graswurzeln von Familie und Provinz, wieder festen Boden unter nicht mehr ganz so großem Fuße zu gewinnen. Heute sitzt er für die SPD im Gemeinderat von Pfaffenhofen, und wo er früher champagnerselig die Bonner Biennale organisierte, sticht der ehrenamtliche Kulturreferent für Kirchweih- und Volksfeste jetzt in der Lederhose das Bierfass bei der Dult an. Persönlich hat ihm diese Reduktion Berliner Komplexität offenbar gutgetan; seinem Werk nicht so ganz.
"Grand Tour" war monströs, anstrengend, überladen, aber auch pfiffig und originell. "Der letzte Dieb" ist ein nur 480 Seiten starkes Produkt der Krise. Was damals die Exkurse über Uhren- und Eisenbahnwesen waren, ist diesmal die "Vermittlung schließtechnischen Wissens" über Hebel- und Bügelschlösser. "Sicherheit ist eine Illusion": Professionelle Schlüsseldienstleister oder auch die "Sportsfreunde der Sicherheitstechnik" knacken alle Schlösser und Codes. Wie in einem Uhrwerk die Rädchen müssen in der höheren Schließtechnik Spanner und Fühler, Bohrmuldenzylinder, Riegel und Stifte perfekt ineinandergreifen. Kopetzky konstruiert seinen Roman als Schloss mit fünf Stiften; am Ende soll der hermeneutische Universaldietrich alle Türen entriegeln.
Bei dem Meisterdieb Alexander Salem genügte auch ein einfacher autobiographischer Schlüssel: Der Wiedergänger von Arsène Lupin ist ein Selbstporträt des an sich selbst zweifelnden Künstlers. Anfangs ist Salem ein mondäner Dandy im Vollgefühl seiner artistischen und technischen Fähigkeiten, der in den Luxushotels von Monte Carlo und Paris komplizierte Brüche auf Bestellung ausführt. Der stilsichere letzte Dieb fährt Porsche, trägt Louis-Vuitton-Koffer und Maßhemden und raucht die extravagante Zigarettenmarke, der er seinen Namen verdankt.
Für die Hässlichkeit und Banalität seiner Zeitgenossen hat er nur Hohn übrig: "Sie waren so schlecht angezogen, dass man sie glatt für Deutsche hätte halten können." Dann aber begeht Salem einen Anfängerfehler, der ihn an seiner Kunst und seinem savoir vivre irre werden lässt und zur überstürzten Flucht zwingt. Erst in Neukölln findet er seine Seelenruhe wieder: Vom Vater und von einem alten Jugendfreund aus höchster Not gerettet, beginnt er ein neues Leben als ehrbarer Schlüsselladenhüter, guter Sohn und Familienvater.
Auch die zweite Hauptfigur lässt sich über autobiographische Hintertürchen erschließen. Hawk Browning, ein exzentrischer Pulp-Fiction-Autor mit berufsbedingter Paranoia und akutem writer's block, sucht verzweifelt nach dem Schlussstein für seinen Romanzyklus um Luzifer Camden, einen Gralssucher in der Tradition von Indiana Jones. Eingeschlossen in seine verdunkelte New Yorker Wohnung, verwechselt er zunehmend Realität und Fiktion, postmoderne Zeichen und alltägliche Wunder, Thomas Pynchons Großverschwörungen mit Dan Browns konspirativen Schnitzeljagden. Erst als er das Plagiat als letzte authentische Kunstform entdeckt und hemmungslos klaut, kann er seine stockende Kreativität wieder flottmachen. Ähnlich ungeniert, plündert auch Kopetzkys Genremix aus Familien-, Groschen- und Berlin-Roman, Agenten- und Mystery-Thriller, Hitchcock-Filme und B-Movies, Zeitungsmeldungen und Goethes "Reineke-Code": Fröhlich verquickt er Atlantis-Mythen mit James-Bond-Gimmicks, verschollene Nazi-Schätze mit Himmlers germanischer Welteislehre.
Salem ist der Stift, der handwerkliche Kompetenz und die Sehnsucht nach dem "schönen Zustand" einbringt, Browning der verwirrte Kopf der "Operation Nordpol". Komplettiert wird der dreigliedrige Schließzylinder durch eine ehemalige DDR-Meisterschwimmerin, die von Joscha Lux (alias Mischa Wolf) in die Kunst der Spionage eingeführt wurde. Johanna ist im Besitz der Schatzkarte; allerdings hat sie, ganz im Sinne des bei dem Entfesselungskünstler Houdini entlehnten Mottos ("My brain is the key, that sets me free"), die Planskizze in einem "privaten De-Digitalisierungsprojekt" vernichtet und nur als Kopie in ihrem Kopf gespeichert. Weil ihr fotografisches Gedächtnis von den Rändern her verschwimmt, verläuft die Schatzsuche im märkischen Sand.
Ähnliches lässt sich auch von dem Roman des Meisterdiebs Kopetzky sagen. Die Rädchen greifen nicht ineinander, die dünnen, labyrinthisch verschachtelten Erzählstränge zerfransen und verheddern sich in Abschweifungen über Waschbären, die Familie Grimaldi, Briefmarken, Kartoffelkäfer und Spaghettisaucen. Das "Sammelsurium wild durcheinander agierender Plots" ist im Einzelnen nicht ohne Reiz, im Ganzen aber konfus und langatmig. Perspektivwechsel und Cliffhanger führen ins Leere, Figuren und Leitmotive tauchen auf und verschwinden wieder, ohne Kontur und Struktur zu gewinnen: Die Jagd nach dem McGuffin des Nazi-Goldes und das Erzählprinzip folgenloser Verzettelung zehren alle Ansätze gediegener Erzählkunst auf.
Dabei outet sich Kopetzky wieder einmal als Sportsfreund des soliden alten Kunsthandwerks, anachronistisch aus Überzeugung und Neigung. Seine Figuren ziehen das alte Bakelit-Telefon jedem Handy, den Paternoster dem Lift, den rostigen Bartschlüssel dem BKS-Sicherheitsschloss vor. Salem zumal schätzte alte Weine und seinen Oldtimer über alles; nichts wirkt bei Fälschern, Tricksern und Schränkern "überzeugender als ein von starken Gebrauchsspuren gezeichnetes relativ altes Gerät".
Es gibt sie noch, die guten alten, handgemachten Dinge, aber nicht in diesem schlampig lektorierten Gaunerroman. Die Sprache ist teils parfümiert-verschmockt, teils nachlässig-routiniert; die Metaphern sind abgenutzt, die Motive aus zweiter Hand geklaut. Am Ende wird der Kopetzky-Code unter Einsatz kryptologischer Entschlüsselungs- und "alternativer Öffnungstechniken" in einem Berliner Bunker geknackt. Alle Geheimtüren sind offen, alle Riegel entsperrt, aber von ungehobenen Schätzen oder verborgenen Räumen ist weit und breit keine Spur.
MARTIN HALTER
Steffen Kopetzky: "Der letzte Dieb". Roman. Luchterhand Verlag, München 2008. 478 S., geb., 19,95 [Euro].
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